Drucksituationen kennt jeder – sei es bei Wettkämpfen, Prüfungen oder beruflichen Herausforderungen. Der Performancepsychologe Sebastian Altfeld, der unter anderem Olympioniken und Einsatzkräfte betreut, erklärt, wie wir mit Druck umgehen können, warum das Gefühl oft falsch interpretiert wird und welche Techniken Athleten und Coaches nutzen können, um ihre Leistung zu optimieren.
Druck: Eine universelle Erfahrung
Die Redensart „Unter Druck entstehen Diamanten“ klingt vielversprechend, doch Druck kann auch lähmen oder brechen. Ob ein Athlet in einer entscheidenden Spielsituation brilliert oder scheitert, hängt laut Sebastian Altfeld von einem zentralen Faktor ab: Vorbereitung. Entscheidend sei, die richtigen Werkzeuge zu haben, um mit Druck umzugehen.
Sebastian beschreibt Druck als eine Reaktion auf eine als bedeutsam wahrgenommene Situation, die hohe Konsequenzen birgt – sei es eine Finalpartie, eine öffentliche Rede oder die entscheidende Prüfung. Im Gegensatz zu Stress, der durch Überlastung entsteht, liegt der Fokus beim Druck auf den potenziellen Konsequenzen einer Leistung. Hierbei kommt es auf das Zusammenspiel von äusseren Faktoren und individuellen Ressourcen an.
„Viele denken, dass sie in Drucksituationen überperformen müssen. Aber tatsächlich geht es nur darum, so nah wie möglich an das heranzukommen, was man unter idealen Bedingungen leisten könnte“, sagt Sebastian.
Was passiert im Kopf?
Der menschliche „Affe“, wie Sebastian unser evolutionär altes Gehirnsystem nennt, reagiert auf Druck mit Kampf- oder Fluchtmechanismen. Das limbische System springt an, schürt Ängste und lenkt den Fokus von der eigentlichen Aufgabe weg. Das Resultat: Gedankenrasen, schwitzige Hände und ein pochendes Herz.
Doch genau wie beim Sport kann auch der Umgang mit diesem „Affen“ trainiert werden. Es gehe nicht darum, diese Gefühle zu unterdrücken, sondern sie zu akzeptieren und einzuordnen. „Emotionen sind wie Wellen – sie kommen und gehen. Unsere Aufgabe ist es, sie durchzustehen, ohne die Kontrolle zu verlieren“, erklärt er.
Ressourcen stärken: Vorbereitung als Schlüssel
Eine der wichtigsten Ressourcen, um Druck standzuhalten, ist Vorbereitung. Diese umfasst sowohl die fachliche als auch die mentale Ebene. „Drucksimulationstraining“ ist dabei ein wesentlicher Bestandteil: Im Training werden Bedingungen geschaffen, die den realen Wettkampfbedingungen so nah wie möglich kommen. Konsequenzen für Fehler – wie zusätzliche Aufgaben oder unangenehme Pflichten – simulieren den Druck, den Athleten später im Ernstfall erleben.
Ich lasse daher meine Athleten beim Curling immer wieder eine bestimmte Übung machen wo es darum geht einen Stein auf die Center Line zu spielen, wenn dies geschafft ist, dann kann ein Take-Out gespielt werden. Der Draw auf die Centerline ist ein langsamer Stein, der Take out ein schneller. Wer zuerst 4, 5 verschiedene Formen des Take outs getroffen hat, gewinnt. In dieser Übung, welche auf Grund der ständigen Tempowechsel und verschiedenen Aufgaben, sowie des Konkurrenzkampfes im Team eher komplex ist, wird Druck auf den Spieler aufgesetzt. Der Athlet muss in dieser Drucksituation peformen um schnell fertig zu werden. So können Drucksituationen aus dem Spiel im Training simuliert werden.
Sebastian empfiehlt, sich vor entscheidenden Situationen zu fragen: „Was genau macht mir hier Druck? Habe ich Angst vor Bewertung, vor Fehlern oder vor den Konsequenzen?“ Diese Reflexion hilft dabei, den Affen zu beruhigen und die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen.
Techniken für den Umgang mit Druck
Die Fähigkeit, Drucksituationen zu meistern, erfordert gezielte Strategien, die sowohl kurzfristig die Kontrolle zurückgeben als auch langfristig die mentale Stärke aufbauen. Neben dem Training und der Simulation von Druck, bietet die praktische Umsetzung dieser Techniken basiert auf mehreren bewährten Ansätzen, die Sebastian Altfeld im Gespräch vorgestellt hat:
- Atmung und Achtsamkeit
Die Kontrolle der Atmung ist eine der grundlegendsten Methoden, um sich im Moment zu verankern und das Gefühl von Überforderung zu reduzieren. Besonders hilfreich sind dabei Atemtechniken wie die sogenannte Box-Atmung (ein- und ausatmen in gleich langen Intervallen, mit kurzen Pausen dazwischen) sowie das bewusste Verlängern der Ausatmung. Ebenfalls effektiv ist das Anhalten der Luft nach dem Ausatmen – dies stimuliert den Vagusnerv und hilft, das Nervensystem zu beruhigen. Der Fokus auf die Atmung bringt das Bewusstsein ins Hier und Jetzt und lenkt den „Affen“ ab, der sonst unnötige Sorgen produziert.
- Selbstgespräche
Ein bewusstes und aktives Gespräch mit sich selbst ist eine wirksame Methode, um sich von gedanklichem Chaos zu befreien. Wenn der Geist beginnt, sich auf mögliche negative Konsequenzen oder Szenarien zu fixieren, kann ein inneres „Stopp!“ helfen, die Kontrolle zurückzugewinnen. Sich selbst daran zu erinnern, was gerade im Moment zählt, fördert die Konzentration und die Fähigkeit, sich wieder auf die Aufgabe zu fokussieren.
- Realistische Zielsetzungen
Der Mythos, dass man in Drucksituationen überperformen muss, kann zusätzlichen Stress erzeugen. Stattdessen ist es entscheidend, das Ziel realistisch zu setzen: nicht Perfektion, sondern das Beste, was unter den gegebenen Umständen möglich ist. Diese Haltung nimmt Druck von der Aufgabe und erlaubt es, die Situation ohne übermäßige Angst zu bewältigen.
Regelmäßige Meditation kann langfristig dazu beitragen, die Fähigkeit zu stärken, mit Druck umzugehen. Spezielle geführte Meditationen wie „Verbessere Deine sportlichen Erfolge mit der Kraft der Hypnose“ oder „Perfektionismus loslassen: Entspannung und Neuprogrammierung des Unterbewusstseins“ bieten zusätzliche Unterstützung. Diese Meditationsanleitungen, verfügbar auf Spotify, hier unter Downloads und anderen Plattformen, trainieren das Unterbewusstsein, Drucksituationen nicht nur besser auszuhalten, sondern sogar positiv zu erleben.
- Stimulation des Vagusnervs
Die gezielte Stimulation des Vagusnervs, der maßgeblich für die Regulierung des parasympathischen Nervensystems verantwortlich ist, kann helfen, den Körper zu beruhigen und eine überhöhte Aktivierung zu senken. Atemtechniken, sanfte Nackenmassagen oder spezielle Übungen zur Förderung der Vagusaktivität können in akuten Drucksituationen hilfreich sein.
Diese Techniken bieten sowohl kurzfristige Hilfe in akuten Drucksituationen als auch langfristige Verbesserung der mentalen Resilienz. Sie sind ein wertvoller Werkzeugkasten für Athleten und Coaches, die Spitzenleistungen erbringen möchten, ohne von Drucksituationen überwältigt zu werden.
Reflexion: Druck richtig einordnen
Drucksituationen verlangen eine kritische Selbstreflexion: Sind die Konsequenzen wirklich so gravierend, wie sie scheinen? Oftmals neigt unser „Affe“ dazu, Risiken zu überschätzen. „Wenn ich in der Vergangenheit gescheitert bin, heisst das nicht, dass es wieder passiert. Jede Situation hat ihre eigene Wahrscheinlichkeit“, betont Sebastian.
Das Bewusstsein für diese Denkfehler hilft Athleten und Coaches, in entscheidenden Momenten gelassener zu bleiben. Und wenn einmal ein Fehler passiert? „Das gehört dazu. Selbst Profis wie Michael Jordan liefern unter Druck keine aussergewöhnliche Leistung, sondern erreichen das, was sie im Training erarbeitet haben.“
Gesundheit vor Leistung
Abschließend betont Sebastian, dass es beim Umgang mit Druck nicht nur um Leistungssteigerung geht, sondern auch um psychische Gesundheit. Der bewusste Umgang mit Drucksituationen schützt vor langfristigen Belastungen und fördert eine gesunde Balance zwischen Anspannung und Entspannung. „Gesund Leistung zu bringen, sollte das Ziel sein – nicht das ständige Streben nach Perfektion.“
Fazit: Werkzeuge für Athleten und Coaches
Druck ist eine unvermeidliche Begleiterscheinung im Leben von Sportlern und ihren Trainern. Mit den richtigen Techniken und einer achtsamen Haltung wird er jedoch zu einem beherrschbaren Faktor. Durch regelmässiges Training, Selbstreflexion und eine realistische Einschätzung von Erwartungen können Athleten lernen, ihre beste Leistung abzurufen, ohne sich von Druck überwältigen zu lassen.