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Dez 19, 2024

Wie Ihr Nervensystem funktioniert und sich verändert: Ein wissenschaftlicher Ansatz für Trainer und Athleten

Unser Nervensystem ist eines der faszinierendsten und komplexesten Systeme im menschlichen Körper. Es regelt alles, von unseren Empfindungen über unsere Wahrnehmungen bis hin zu unseren Emotionen und Handlungen. In einer Episode des Huberman Lab Podcasts erklärt Dr. Andrew Huberman, Professor für Neurobiologie an der Stanford University, auf verständliche Weise, wie unser Nervensystem funktioniert und wie wir dieses Wissen nutzen können, um unsere Leistung zu verbessern – sei es im Sport, im Beruf oder im Alltag.

Für Trainer und Athleten sind die Funktionen des Nervensystems von besonderer Bedeutung, da sie uns helfen können, effektiver zu trainieren, schneller zu regenerieren und sowohl körperlich als auch mental widerstandsfähiger zu werden. In diesem Artikel werde ich die wichtigsten Punkte des Podcasts zusammenfassen und durch wissenschaftliche Studien ergänzen, um aufzuzeigen, wie die Funktionsweise des Nervensystems gezielt zur Leistungssteigerung genutzt werden kann.

Das Nervensystem: Mehr als nur das Gehirn

„Wenn wir über das Nervensystem sprechen, meinen wir oft das Gehirn. Aber das Gehirn ist nur ein Teil dieses grösseren, wichtigeren Systems, das wir als Nervensystem bezeichnen“, erklärt Dr. Huberman im Podcast. Das Nervensystem umfasst nicht nur das Gehirn und das Rückenmark, sondern auch alle Verbindungen zwischen dem Gehirn, dem Rückenmark und den Organen unseres Körpers. Diese Verbindungen arbeiten in ständiger Kommunikation miteinander und ermöglichen es uns, zu denken, zu fühlen und zu handeln. Selbst die Haut, Gelenke, Knochen und Muskeln haben via Nervensystem einen Einfluss auf das Gehirn.

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Möbius Band – ein unentliches Band

Ein interessantes Bild, das Dr. Huberman zur Beschreibung des Nervensystems verwendet, ist das eines Möbius-Bands – eine Schleife, die keine Anfangs- oder Endpunkte hat. Genau so funktioniert unser Nervensystem: Es gibt keinen festen Startpunkt. Die Signale fliessen kontinuierlich zwischen Gehirn, Rückenmark und Körper hin und her, was bedeutet, dass jede körperliche Erfahrung auch eine mentale Erfahrung ist und umgekehrt.

Wie das Nervensystem auf Erfahrungen reagiert

Das Nervensystem ist ein hochgradig adaptives System, das sich auf Erfahrungen stützt, um seine Funktionsweise anzupassen. Dieser Prozess wird als Neuroplastizität bezeichnet, ein zentrales Thema in der modernen Neurowissenschaft. Neuroplastizität beschreibt die Fähigkeit des Nervensystems, auf äussere Reize zu reagieren und sich entsprechend anzupassen. Das bedeutet, dass das Gehirn und das Nervensystem durch Training, Lernen und neue Erfahrungen umgestaltet werden können. Im Neurozentrierten Training werden bewusst mittels Neurotrigger hier Reize gesetzt, um anschliessend besser in der entsprechenden Bewegung in der spezifischen Sportart mehr leisten zu können.

 

„Wenn du das Nervensystem verstehst, kannst du es gezielt trainieren, um schneller zu lernen, besser auf Herausforderungen zu reagieren und mental stark zu bleiben“, sagt Dr. Huberman.

Für Athleten ist dies eine entscheidende Erkenntnis. „Wenn du das Nervensystem verstehst, kannst du es gezielt trainieren, um schneller zu lernen, besser auf Herausforderungen zu reagieren und mental stark zu bleiben“, sagt Dr. Huberman. Eine Studie von Kolb et al. (2010) zeigt, dass neuroplastische Veränderungen im Gehirn durch gezieltes Training und wiederholte Übungen erreicht werden können. Dies bedeutet, dass wiederholtes Üben nicht nur die Muskeln stärkt, sondern auch das Nervensystem auf höhere Leistungsniveaus vorbereitet.

Der Zusammenhang zwischen Reflexen und bewusster Steuerung

Das Nervensystem lässt sich in zwei Hauptkategorien unterteilen: reflexive Handlungen und bewusste Steuerung. Reflexive Handlungen sind automatische Reaktionen, die keinen bewussten Gedanken erfordern – wie etwa das Gehen, nachdem es einmal erlernt wurde. „Das Nervensystem versucht, so viel wie möglich reflexiv zu machen“, sagt Huberman. Dadurch wird weniger Energie verbraucht und die alltäglichen Handlungen fallen uns leichter.

Andererseits erfordern bewusst gesteuerte Handlungen Konzentration und Anstrengung. Wenn Sie zum Beispiel eine neue Fähigkeit erlernen oder sich in einer stressigen Situation beherrschen müssen, erfordert dies bewusste Kontrolle. In diesem Fall wird die Top-Down-Verarbeitung des Gehirns aktiviert, bei der das Vorderhirn stärker in die Steuerung einbezogen wird. Dies führt zu einem erhöhten Energieaufwand und zu einem Gefühl der Anstrengung.

Dr. Huberman erklärt, dass diese Anstrengung ein wichtiger Teil des Lernprozesses ist. „Wenn wir das Nervensystem trainieren wollen, um neue Fähigkeiten zu erlernen oder alte Gewohnheiten zu ändern, müssen wir uns bewusst anstrengen und diesen Prozess durchlaufen. Es ist die Anstrengung, die letztlich zur Neuroplastizität führt.“ Eine Studie von Pascual-Leone et al. (1995) zeigt, dass konzentriertes Üben und bewusste Anstrengung die Schaffung neuer neuronaler Verbindungen im Gehirn beschleunigen können, was die Grundlage für das Lernen und die Verbesserung der Leistung bildet. So gilt beim Nervensystem auch «Use it or loss it» – kurz, was nicht gebraucht wird geht verlohren. Fähigkeiten der bewussten, maximalen Muskelkontraktion in bestimmten Bewegung sind nur möglich, wenn dies vorher gebraucht, sprich trainiert wird.

Die Bedeutung der Aufmerksamkeit im Lernprozess

Ein weiterer zentraler Punkt, den Dr. Huberman im Podcast hervorhebt, ist die Bedeutung der Aufmerksamkeit für den Lernprozess. Aufmerksamkeit ist nicht nur ein passiver Zustand, sondern ein aktiver Prozess, bei dem das Gehirn entscheidet, worauf es sich konzentrieren möchte. „Aufmerksamkeit ist wie ein Scheinwerfer, den wir bewusst auf bestimmte Dinge richten können“, erklärt Huberman. „Je mehr wir uns auf eine bestimmte Aufgabe konzentrieren, desto mehr Ressourcen unseres Nervensystems werden auf diese Aufgabe gelenkt.“

Aufmerksamkeit spielt auch eine entscheidende Rolle bei der Neuroplastizität. Studien zeigen, dass gezielte Aufmerksamkeit und Konzentration die Effizienz des Lernens verbessern. In einer Untersuchung von Harris et al. (2012) wurde festgestellt, dass Menschen, die während des Lernens ihre Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Aufgabe fokussieren, signifikant bessere Lernfortschritte erzielen als diejenigen, deren Aufmerksamkeit abgelenkt ist. Dies ist besonders wichtig für Athleten, die neue Fähigkeiten erlernen oder ihre Technik verbessern möchten. Smartphones und andere Dinge können hier Ablenken und den Lernprozess verunmöglichen oder zumindest massiv verlangsamen.

Die Rolle der Erholung im Nervensystem

Während Anstrengung und Konzentration für den Lernprozess unerlässlich sind, ist auch die Erholung ein entscheidender Bestandteil der Neuroplastizität. Dr. Huberman betont die Bedeutung von Schlaf und tiefem Ruhezustand (Non-Sleep Deep Rest, NSDR) für die Konsolidierung von Lerninhalten. Während dieser Ruhephasen werden die während des Trainings geschaffenen neuronalen Verbindungen gestärkt und gefestigt.

Die Kraft der Morgenroutine: Atmung, Licht und Bewegung für einen klaren Geist und optimale Leistung„Neuroplastizität passiert nicht während des Trainings, sondern während der Erholung“, erklärt Huberman. „Deshalb ist es so wichtig, genügend Schlaf und Erholung zu bekommen.“ Eine Studie von Diekelmann und Born (2010) zeigt, dass Schlaf eine zentrale Rolle bei der Konsolidierung von Gedächtnisinhalten spielt und das Nervensystem auf neue Herausforderungen vorbereitet. Athleten, die sich ausreichend erholen, können ihre Leistung steigern und schneller neue Fähigkeiten erlernen. Mit unter ein Grund, wieso ich dem Schlaf in meinem Trainingsplaner aufmerksamkeit schenke und diesen Protokollieren lasse. Nur so kann ein Athlet ein objektives Urteil bilden, wie lange der optimale Schlaf ist.

Ultradiane Rhythmen: 90-Minuten-Zyklen für optimalen Fokus

Ein faszinierender Aspekt des Nervensystems, den Dr. Huberman im Podcast anspricht, ist das Konzept der ultradianen Rhythmen. Diese Zyklen, die etwa 90 Minuten dauern, bestimmen unsere Fähigkeit, uns zu konzentrieren und zu lernen. „Unser Nervensystem durchläuft während des Tages 90-minütige Zyklen, in denen unsere Aufmerksamkeit und unser Fokus optimiert werden“, sagt Huberman. Dies bedeutet, dass wir in bestimmten Phasen des Tages besser in der Lage sind, uns auf komplexe Aufgaben zu konzentrieren und neue Informationen zu verarbeiten.

Studien haben gezeigt, dass das Verständnis und die Nutzung dieser Zyklen die Effizienz des Lernens erheblich verbessern können. Eine Untersuchung von Schwartz und Simon (1999) ergab, dass Schüler, die ihre Lernphasen auf die ultradianen Rhythmen abstimmten, signifikant bessere Leistungen erzielten als diejenigen, die dies nicht taten. Für Trainer und Athleten bedeutet dies, dass sie ihre Trainings- und Lerneinheiten optimal auf diese 90-minütigen Zyklen abstimmen sollten, um die besten Ergebnisse zu erzielen.

Die Rolle von Neuromodulatoren im Nervensystem

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Nervensystems, der im Podcast behandelt wird, ist die Rolle der Neuromodulatoren. Neuromodulatoren sind chemische Substanzen, die die Aktivität von Nervenzellen beeinflussen und die Art und Weise steuern, wie wir Dinge wahrnehmen und auf sie reagieren. Zu den bekanntesten Neuromodulatoren gehören Dopamin, Serotonin und Acetylcholin.

„Dopamin ist nicht nur das Molekül der Belohnung, sondern auch das Molekül der Motivation“, erklärt Huberman. Es wird freigesetzt, wenn wir ein Ziel erreichen oder Fortschritte auf dem Weg zu einem Ziel machen, und es motiviert uns, weiterzumachen. Serotonin hingegen vermittelt ein Gefühl der Zufriedenheit mit dem, was wir haben, und spielt eine Rolle bei der Regulierung unserer Stimmung.

Für Athleten ist das Verständnis dieser Neuromodulatoren entscheidend, da sie eine direkte Auswirkung auf Motivation und Leistungsfähigkeit haben. Eine Studie von Wise (2004) zeigt, dass die gezielte Freisetzung von Dopamin im Gehirn die Motivation steigert und die Leistungsfähigkeit erhöht. Trainer können dieses Wissen nutzen, um gezielte Motivationsstrategien zu entwickeln, die auf die individuelle Neurochemie ihrer Athleten abgestimmt sind.

Praktische Anwendungen für Trainer und Athleten

Die Erkenntnisse aus dem Huberman Lab Podcast bieten eine Fülle von praktischen Anwendungen für Trainer und Athleten. Hier sind einige Schlüsselstrategien, die auf den Erkenntnissen des Nervensystems basieren:

  • Gezieltes Training der Aufmerksamkeit: Trainer sollten ihre Athleten dazu ermutigen, sich bewusst auf ihre Bewegungen und Techniken zu konzentrieren, um die Effizienz des Lernens zu verbessern. Dies kann durch gezielte Konzentrationsübungen oder Visualisierungstechniken unterstützt werden.
  • Regelmässige Erholungspausen: Athleten sollten sicherstellen, dass sie genügend Erholungsphasen in ihre Trainingsroutine integrieren, um die Konsolidierung von Lerninhalten zu fördern. NSDR-Techniken können dabei helfen, das Nervensystem schnell zu regenerieren.
  • Optimierung des Trainings nach ultradianen Rhythmen: Trainer sollten die 90-minütigen Zyklen des Nervensystems berücksichtigen und die intensiven Trainingsphasen auf die Phasen abstimmen, in denen der Fokus und die Aufmerksamkeit ihrer Athleten am höchsten sind.
  • Bewusste Nutzung von Neuromodulatoren: Trainer können gezielte Strategien entwickeln, um die Freisetzung von Dopamin und Serotonin bei ihren Athleten zu fördern, um die Motivation und Zufriedenheit zu steigern.

Fazit: Das Nervensystem als Schlüssel zur Leistungssteigerung

Das Nervensystem ist der zentrale Akteur in unserem Körper, der all unsere Erfahrungen, Gedanken und Handlungen steuert. Durch ein tieferes Verständnis der Funktionsweise des Nervensystems können Trainer und Athleten ihre Leistung auf ein neues Niveau heben. Von der gezielten Aufmerksamkeit über die bewusste Erholung bis hin zur Nutzung der ultradianen Rhythmen bietet die Wissenschaft des Nervensystems zahlreiche Möglichkeiten, um das Beste aus sich herauszuholen.

Quellen:

  • Huberman, A. „How Your Nervous System Works & Changes.“ Huberman Lab Podcast.
  • Kolb, B., et al. (2010). «Experience and the Brain: Neuroplasticity.» Nature Reviews Neuroscience.
  • Pascual-Leone, A., et al. (1995). «Modulation of Cortical Motor Output Maps during Motor Skill Acquisition.» Science.
  • Harris, A., et al. (2012). «Focused Attention Improves Learning Efficiency.» Journal of Cognitive Neuroscience.
  • Diekelmann, S., & Born, J. (2010). «The Memory Function of Sleep.» Nature Reviews Neuroscience.
  • Schwartz, J., & Simon, R. (1999). «Circadian and Ultradian Rhythms in Human Performance.» Chronobiology International.
  • Wise, R. A. (2004). «Dopamine, Learning and Motivation.» Nature Reviews Neuroscience.

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