Atmen ist Leben. Im Sport ist Atmung weit mehr als nur ein Automatismus: Sie entscheidet über Ausdauer, Konzentration, Regeneration und manchmal über Sieg oder Niederlage. Doch wie individuell ist unser Atemmuster wirklich? Und wie können Trainer und Athleten dieses Wissen für bessere Leistungen nutzen? Eine bahnbrechende Studie des Weizmann Institute of Science, veröffentlicht im Juli 2025 in Current Biology, liefert darauf faszinierende Antworten – und öffnet neue Wege für das Training der Zukunft. Was individuelle Atmung bedeutet, hier zusammengefasst.
Die Studie: Jeder Mensch hat einen einzigartigen Atem-Fingerabdruck und individuelle Atmung
Methodik: Hightech trifft Alltag
Die Forscher um Timna Soroka und Noam Sobel entwickelten ein tragbares Gerät, das den Nasenluftstrom beider Nasenlöcher über 24 Stunden hinweg misst – im Alltag, beim Schlafen, im Training, bei Stress und in Ruhe. 97 gesunde Erwachsene nahmen teil, 42 davon wiederholten die Messung nach mehreren Monaten. Die gewonnenen Daten wurden mit modernsten Algorithmen ausgewertet.
Das Ergebnis: Atmen wie ein Fingerabdruck
Die Überraschung: Das Atemmuster jedes Menschen ist so einzigartig, dass die Forscher mit einer Trefferquote von 96,8 % die Probanden allein anhand ihres Nasenluftstroms identifizieren konnten – ähnlich wie mit einem Fingerabdruck oder der Stimme! Selbst nach Monaten blieb das individuelle Atemmuster stabil.
Wichtig für die Praxis:
Nicht nur die Atemfrequenz, sondern ein komplexes Zusammenspiel aus Atemvolumen, Ein- und Ausatmdauer, Pausen und Variabilität macht das persönliche Atemprofil aus.
Interpretation: Was bedeutet das für Training und Leistung?
Die Atmung ist ein Spiegel des Gehirns – und der Persönlichkeit
Die Atmung wird von einem hochkomplexen Netzwerk im Gehirn gesteuert, das auf physiologische, emotionale und kognitive Zustände reagiert. Die Studie zeigt:
- Das individuelle Atemmuster spiegelt nicht nur körperliche Eigenschaften (wie BMI), sondern auch Stimmung, Stress, Angst und sogar kognitive Leistungsfähigkeit wider.
- Wer etwa zu flacher oder zu schneller Atmung neigt, zeigt häufiger Anzeichen von Stress oder Angst.
Für Trainer:
Die Atmung ist ein Fenster zur aktuellen Verfassung des Athleten – körperlich wie mental.
Individualität statt Einheitsbrei
Die Ergebnisse widerlegen die verbreitete Annahme, dass es eine „ideale“ Atemtechnik für alle gibt. Vielmehr hat jeder Mensch – und damit jeder Athlet – sein eigenes, optimales Atemmuster.
Für Athleten:
Vergleiche dich nicht blind mit anderen. Finde und optimiere dein eigenes Atemprofil!
Die Atmung ist trainierbar – aber nicht beliebig veränderbar
Die Studie belegt, dass das Atemmuster zwar individuell und stabil ist, aber auch auf Training, Bewusstsein und äußere Einflüsse reagiert.
- Gezieltes Atemtraining kann helfen, ineffiziente Muster zu erkennen und zu verbessern.
- Die Grundstruktur des Atem-Fingerabdrucks bleibt jedoch erhalten – ähnlich wie bei der Handschrift.
Für Trainer:
Atemtraining ist sinnvoll, sollte aber individuell angepasst werden. Standardprogramme sind oft zu grob.
Praktische Empfehlungen: Wie Trainer und Athleten die Erkenntnisse nutzen können
Atemmuster analysieren und verstehen
- Messung: Moderne Wearables oder gezielte Atemanalysen im Labor können das individuelle Atemprofil sichtbar machen.
- Beobachtung: Auch ohne Hightech – aufmerksames Beobachten der Atmung in verschiedenen Situationen (Ruhe, Belastung, Stress) gibt wertvolle Hinweise.
Individualisiertes Atemtraining
- Anpassung statt Normierung: Atemübungen sollten auf die individuellen Stärken und Schwächen zugeschnitten werden.
- Ziel: Nicht das Atemmuster komplett verändern, sondern die Effizienz und Flexibilität erhöhen (z. B. längere Ausatmung bei Nervosität, bewusste Bauchatmung bei Belastung).
Atmung als Frühwarnsystem
- Monitoring: Plötzliche Veränderungen im Atemmuster können auf Übertraining, Stress oder gesundheitliche Probleme hinweisen.
- Regeneration: Bewusste Atemtechniken fördern die Erholung – individuell angepasst sind sie besonders wirksam.
Mentale Stärke durch Atembewusstsein
- Atem und Psyche: Wer seine Atmung kennt und steuern kann, bleibt auch unter Druck ruhiger und konzentrierter.
- Routinen: Kurze Atemübungen vor Wettkämpfen oder in Pausen helfen, den eigenen Rhythmus zu finden und Nervosität abzubauen.
Fallbeispiele: Wie Individualität im Atemtraining wirkt
Beispiel 1: Der Ausdauersportler mit flacher Atmung
Ein Triathlet zeigt im Belastungstest eine sehr schnelle, flache Atmung. Analyse und Vergleich mit seinem Atem-Fingerabdruck zeigen: Unter Stress weicht er stark von seinem natürlichen Muster ab. Mit gezielten Übungen (z. B. verlängerte Ausatmung, Bauchatmung) gelingt es, sein individuelles Optimum auch im Wettkampf zu halten – die Ausdauerleistung steigt.
Beispiel 2: Die Sprinterin mit unbewussten Atempausen
Eine Sprinterin hat unbewusste Atempausen vor dem Start. Ihr Atemprofil zeigt: Diese Pausen sind Teil ihres individuellen Musters und helfen ihr, sich zu fokussieren. Ein Trainer, der sie zu „durchgehender“ Atmung zwingen will, verschlechtert ihre Leistung. Die Lösung: Ihr Atemmuster akzeptieren und gezielt nutzen.
Grenzen und Ausblick: Was bleibt offen?
Die Studie ist ein Meilenstein, hat aber auch Grenzen:
- Die Messung erfolgte im Alltag, nicht unter maximaler sportlicher Belastung – hier sind weitere Untersuchungen nötig.
- Die Übertragbarkeit auf Kinder, ältere Menschen oder Menschen mit Atemwegserkrankungen muss noch geprüft werden.
- Die technische Umsetzung im Trainingsalltag steht noch am Anfang.
Zukunftsvision:
Atem-Fingerabdrücke könnten künftig im Leistungssport so selbstverständlich analysiert werden wie Laktatwerte oder Herzfrequenz. Individualisierte Atemtrainingspläne werden zum Standard.
Fazit: Atme, wie du bist – und werde besser!
Die Erkenntnisse der Studie sind ein Weckruf für den Sport:
Nicht die perfekte Technik für alle, sondern die individuelle Optimierung der eigenen Atmung bringt nachhaltigen Erfolg. Wer sein Atemmuster kennt, kann es gezielt nutzen – für mehr Leistung, bessere Regeneration und mentale Stärke.
Trainer und Athleten sollten lernen:
- Die Atmung ist so individuell wie ein Fingerabdruck.
- Das eigene Atemprofil ist der Schlüssel zu optimaler Leistung.
- Individualisiertes Atemtraining ist effektiver als starre Vorgaben.
Mein Tipp:
Machen Sie die Atmung zum festen Bestandteil des Trainings – individuell, bewusst und mit Freude. Denn: Wer besser atmet, gewinnt mehr als nur Luft!
Quellen:
- Soroka, T. et al. (2025). Humans have nasal respiratory fingerprints. Current Biology, 35, 1–11.
- Eigene Interpretation und Anwendung auf den Sportkontext.